Warum ist man eigentlich "süchtig" ?
Sind Suchtkrankheiten in der heutigen Zeit häufiger ?
Kann man eine Sucht überwinden ?
Was unterscheidet Drogenkonsumenten harter Drogen von anderen Süchtigen ?
Sind Drogenabhängige schwierige Patienten?
Was ist eine Substitutionsbehandlung von Drogenabhängigen und hat sie Erfolg?
Machen Sie diese Arbeit alleine ?
Lernt man etwas über Drogenabhängigkeit während des Medizinstudiums ?
Wird die Substitutionsbehandlung von der Krankenkasse bezahlt?
Warum ist man eigentlich "süchtig" ?
Sucht ist meines Erachtens ein bedeutendes Thema in unserer Gesellschaft und damit auch in der Medizin. Zeigt es doch unser tiefes Bedürfnis nach Erfüllung und unseren Hang zum ritualisierten Verhalten an. Im Negativen ausgedrückt haben wir eine große Angst vor emotional-geistiger Leere und neigen zur "Unbewusstheit" und zu Automatismen. Suchtverhalten ist wahrscheinlich der Versuch diese Leere auszufüllen und fördert extrem unbewusstes Verhalten, welches die Patienten oft sogar als völlig fremdbestimmt beschreiben. Darin unterscheidet sich der abhängige Patient aber vielleicht nur in der extremeren Ausprägung der Symptome von uns allen. Denn neigen nicht der größte Teil der Menschen aus Angst vor der Konfrontation mit uns selbst zu übertriebenen oft fleißorientierten Tagesstrukturierungen (täglich Joga, täglich 1 Stunde Sport, Diäten etc.) oder sogar zu süchtigem, wenn auch gesellschaftlich akzeptierten Verhalten wie Dauerfernsehen, Extremsport, Workaholic, ausufernden Hobbys usw. Wir alle haben "Löcher in der Seele", die wir mit vielerlei Dingen auszufüllen versuchen.
Sind Suchtkrankheiten in der heutigen Zeit häufiger ?
In unserer modernen Leistungsgesellschaft ist das "Machen" deutlich höher angesiedelt als das "Sein". Reich machen wir dadurch nur die Superreichen. Wirklich zufrieden werden wir m.E. dadurch nicht. Diese Mühle des "Machens" fördert extrem die "Unbewussstheit" (Ablenkung) und führt meiner Meinung nach zu unserer oft so beklagten "Schnelllebigkeit". Wir sind zwar ungeheuer produktiv, nehmen unser Leben dabei fast nie bewusst wahr. Nicht selten sind wir bei dem einen Projekt schon mit den Gedanken beim Nächsten. Dadurch erfährt die relative Zeitempfindung eine fühlbare Beschleunigung. Das "Sein" bleibt dabei auf der Strecke. Die dadurch entstehenden "Löcher in der Seele" versuchen wir mit vielerlei Dingen zu füllen, die nicht selten süchtige Ausmaße annehmen.
Kann man eine Sucht überwinden ?
Obwohl terminologisch nicht korrekt, kann man das Wort Sucht dem Sinn nach von dem Wort Suchen herleiten, denn die Sucht ist immer auch eine frustrane Suche nach Fülle und Erfüllung. Um Sucht überwinden zu können und Fülle und Erfüllung zu erfahren, müssen wir erstmal wissen, was wirklich seelisch satt macht. Wir sollten unsere Wahrnehmung aus der Vergangenheit und der Zukunft in die Gegenwart, also in den bewusst wahrgenommenen Augenblick lenken und beginnen, ihn bewusst wahrzunehmen. Das eigentliche Leben besteht aus vielen dieser bewusst gelebten Augenblicken. Ein bewusst wahrgenommener Tag ohne süchtiges Verhalten kann der Beginn einer Reihe von vielen solcher Tage sein. So kann man durch Aufrechterhaltung von Bewusstheit aus der Sucht entkommen, wie man umgekehrt durch Unbewusstheit hineingeraten kann.
Was unterscheidet Drogenkonsumenten harter Drogen von anderen Süchtigen ?
Die drogenabhängigen Patienten unterscheiden sich nicht unbedingt in der Art ihres Grundproblems, sondern in der Ausprägung und Form der Sucht und ihrer Substanzabhängigkeit.
Man kann die Substanz nicht ohne weiteres einfach weglassen. Es hat über die psychische Komponente hinaus oft direkte Folgen auf das Gesundheitsgefühl der Patienten, die sich nur dann wieder gesund fühlen, wenn sie die süchtig machende Substanz erneut konsumieren.
Zusätzlich ist diese Art von Sucht nicht gesellschaftskonform, also illegal. Die Folge ist oft sozialer Abstieg, Kriminalität und Krankheit durch Schlafmangel, Unterernährung und Nebenwirkungen der Drogen.
Sind Drogenabhängige schwierige Patienten?
Die Drogenabhängigen gehören einer Klientel an, die wie kaum eine andere unsere Gesellschaft so extrem polarisiert und die Toleranz und Liebesfähigkeit von uns als Arzt und Ärztin so herausfordert. Sie sind aufgrund ihrer Not und Dringlichkeit oft sehr fordernd und ungeduldig. Zwei Eigenschaften, die von uns gebenden Medizinern oft als dreist und impertinent empfunden wird, obwohl wir doch wissen, dass sie hilfsbedürftig und in großer Not sind. In diesem Spagat ist man in der sonstigen Patientenbehandlung eher selten.
Suchtpatienten müssen von uns in Liebe getragene Grenzen erfahren, wo wir doch als Mediziner dazu erzogen wurden, jedem unser komplettes Hilfsangebot zur Verfügung zu stellen. Das sollte ohne Ausgrenzung und Reduzierung geschehen, so dass sich die Suchtpatienten aufgehoben und beschützt fühlen. Es besteht immer die Gefahr der Co-Abhängigkeit, denn Suchtpatienten sind fast immer vielfach, entweder in der Kindheit oder auch innerhalb der ihrer Suchtzeit (Prostitution, Gewalt etc.), traumatisiert. Ihre Lebensgeschichten sind oft so erschütternd, dass man als hilfstrainierter Mediziner dazu neigt aus Mitleid zu handeln. Mitgefühl würde völlig ausreichen, weil nicht selten durch die vermeintliche Hilfe neue Abhängigkeiten geschaffen oder bestehende Abhängigkeit vertieft werden.
Was ist eine Substitutionsbehandlung von Drogenabhängigen und hat sie Erfolg?
Die Substitutionsbehandlung ist der legale, medikamentöse Ersatz einer opiumhaltigen Droge. Das Ersatzmittel unterscheidet sich in erster Linie durch die Art der Applikation (oral statt intravenös, dadurch weniger Komplikationen), ihrer Halbwertzeit (Wirkdauer) und ihrer Legalität.
Dadurch ist die Substitution eine gute, hilfreiche Möglichkeit, den Patienten ein lebbares, legales, das heißt nicht kriminelles und gesünderes Leben zu ermöglichen. Man schafft damit überhaupt erst eine Basis, auf das ein (suchtfreies) Leben aufgebaut werden kann. Es sollte aber immer eine freiwillige Hilfe zur Selbsthilfe sein, mit klaren, gemeinsam vereinbarten Regeln. Ein Behandlungsvertrag, in dem diese Dinge festgelegt werden, ist deshalb unerlässlich. Es gibt kaum eine Klientel, bei der die medizinische Intervention und sonstige Behandlung so unmittelbar sichtbar wird und spürbar ist (erfolgreich). Das ist sehr motivierend für diese Behandlung einer sonst eher von vielen Rückschlägen gezeichneten Erkrankung. Auch die für unsere Gesellschaft oft sehr belastende Beschaffungskriminalität wird deutlich gesenkt. Immerhin haben etwa ein Drittel aller Insassen von Justizvollzugsanstalten direkt oder indirekt mit illegalen Drogen zu tun.
Machen Sie diese Arbeit alleine ?
Diese oft sehr zeit- und kontaktintensive Arbeit könnte ich nicht ohne die Unterstützung meiner Mitarbeiterinnen machen. Die Hauptlast übernimmt meine Angestellte, eine Diplomsozialarbeiterin, die viel Erfahrung aus der Suchthilfe und der Straffälligenhilfe mitbringt. Zudem unterstützt mich meine ärztliche Kollegin, die auch in der Suchtmedizin ausgebildet ist, meine Arzthelferin und eine Mitarbeiterin (angehende Heilerziehungspflegerin), die am Wochenede in der Anmeldung für den reibungslosen Ablauf der Vergaben sorgt.
Lernt man etwas über Drogenabhängigkeit während des Medizinstudiums ?
Während meines Studiums habe ich nur sehr begrenzt im Rahmen des Studiums der Psychiatrie von Suchterkrankungen gehört. Von der praktischen Arbeit mit Drogenabhängigen, geschweige denn von der Substitution habe ich nichts erfahren. Das war für mich der eigentliche Grund, nachdem ich lange Jahre durch die Arbeit mit Drogenabhängigen Erfahrung gesammelt hatte, regelmäßig als Referent an der medizinischen Hochschule RWTH Aachen in der Fakultät Allgemeinmedizin mit dem Thema Sucht zu fungieren. In jedem Semester halte ich einige Seminare im Rahmen eines kleinen Lehrauftrags für die Allgemeinmedizin. Dabei kommen regelmäßig Drogenabhängige mit in den Unterricht, um den Nachwuchsmedizinern die Sorgen und Nöte dieser Patientenklientel nahe zu bringen. Das wird durchweg positiv aufgenommen.
Universtätsklinikum Aachen
Wird die Substitutionsbehandlung von der Krankenkasse bezahlt?
Seit 2003 ist die Drogensucht als Krankheit anerkannt und die Substitution als adäquate Therapie.
Seither wird die Substitution von der Krankenkasse bezahlt. Die Behandlung unterliegt allerdings einer besonderen Kontrolle durch eine Kommission des jeweiligen Bundeslandes, die aus drei ärztlichen Kollegen, drei Vertretern der Krankenkassen bestehen, einem/r Justiziar/in und weiterem Personal der jeweiligen KV. Seit ein paar Jahren bin ich ein ärztliches Mitglied der o.g. Qualitätsicherungskommission Substitutionsmedizin der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein.